Dr. med. vet. Yvonne Stallknecht 

(ehemals Boekholt)

Chiropraktik und Osteopathie für Pferde

Kann Vorwärts-Abwärts Reiten der Gesundheit des Pferdes schaden? Jain! 

Wie so oft im Leben ist die Frage nicht pauschal zu beantworten: Ja und nein. 

Nein, wenn das Pferd dabei eine aktive, seinen Brustkorb tragende Körperhaltung beibehält.

Ja, wenn nicht auf eine korrekte Körperhaltung mit einem aktiv getragenen Brustkorb geachtet wird.

Leider sagt der Begriff Vorwärts-Abwärts nur etwas über die Richtung der Fortbewegung (Vorwärts) und über die Position des Halses (Abwärts) aus, aber nichts über die Position des Brustkorbes. Ich finde den Ausdruck „Vorwärts-Abwärts“ - Reiten daher sehr unglücklich gewählt. Er suggeriert, dass es ausreicht das Pferd vorwärts gehen zu lassen und sich dabei mit dem Hals abwärts strecken zu lassen, um das Pferd schonend und gymnastizierend zu Reiten. Wird der Brustkorb dabei aber nicht aktiv getragen trägt Vorwärts-Abwärts Reiten nicht zum Muskelaufbau und der Gymnastizierung bei, sondern belastet die Sehnen, Bänder und Gelenke der Vorhand.

Warum das so ist erkläre ich hier:

Im Gegensatz zum Menschen, bei dem das Schlüsselbein eine knöcherne Verbindung zwischen Brustkorb und Vordergliedmaße herstellt fehlt dem Pferd diese knöcherne Verbindung gänzlich. Das heißt der Brustkorb des Pferdes wird zwischen den Schulterblättern nur mittels Muskulatur und Bindegewebe in Position gehalten (Schultergürtelmuskulatur).

Kontrahiert sich die Schultergürtelmuskulatur wird der Brustkorb (inklusive der Brustwirbelsäule) zwischen den Schultern angehoben und die Rückenlinie des Pferdes erscheint gerader (auch gerne als „der Rücken ist aufgewölbt“ bezeichnet). Der Wiederrist erscheint höher und selbst anscheinend überbaute Pferde - mit einer sonst höheren Kruppe - sind auf einmal im Wiederrist höher verglichen mit der Höhe der Kruppe.

Pferd mit inaktiver Schultergürtelmuskulatur im Hohlkreuz – 
Die Schultergürtelmuskulatur ist inaktiv und entspannt. Die Rückenlinie fällt hinter dem Wiederrist deutlich ab. Der Wiederrist erscheint sehr hoch und ist ungefähr mit dem höchsten Punkt der Kruppe auf gleicher Höhe. Die Bauchmuskulatur ist entspannt.



Pferd mit aktiv getragenem Brustkorb durch aktive Schultergürtelmuskulatur (aufgewölbt im Rücken) – Der Wiederrist erscheint flach und ist deutlich höher als die Kruppe, weil der Brustkorb aktiv getragen wird. Die Rückenlinie ist deutlich weniger geschwungen. Die Bauchmuskulatur ist angespannt.


Ist die Muskulatur inaktiv sinkt der Brustkorb tief zwischen die Schulterblätter. Wenn das Pferd entspannt ist und z.B. ruht, ist dies kein Problem für seinen Bewegungsapparat, da das Pferd von Natur aus ca. 55% seines Körpergewichtes auf den Vorderbeinen trägt. Oftmals sinkt der Brustkorb tiefer als die Kruppe und ein „normal gebautes Pferd“ erscheint auf einmal in der Kruppe überbaut.

Die Probleme fangen an, wenn sich das Pferd dauerhaft mit inaktiver Schultergürtelmuskulatur bewegt. Um das ganze besser zu veranschaulichen, stellen Sie sich vor eine Kugel ist zwischen zwei Säulen mit einem einfachen Seil aufgehängt. Wenn Sie Druck auf die Kugel ausüben, drücken Sie gleichzeitig die Säulen mit nach unten, weil das Seil nur sehr begrenzt elastisch ist und den Druck auf die Kugel direkt auf die Säulen überträgt. An der Position der Kugel ändert sich jedoch fast nichts.

Jetzt stellen Sie sich die gleiche Konstruktion vor, allerdings mit dem Unterschied, dass die Kugel durch Gummibänder zwischen den Säulen aufgehängt ist. Üben Sie jetzt Druck auf die Kugel aus bewegt sich die Kugel nach unten und die Gummibänder werden gedehnt und auf Spannung gebracht. Der Druck auf die Kugel wird also durch die Gummibänder abgefedert und nicht direkt auf die Säulen übertragen. Lassen Sie die Kugel los, so ziehen sich die gedehnten Gummibänder wieder zusammen und die Kugel federt automatisch durch die Gummibänder in die Ausgangsposition zurück.

Die Gummibänder symbolisieren eine aktive Schultergürtelmuskulatur. Diese kann die Bewegungen des Brustkorbs (der Kugel) abfedern, die Vorderbeine (die Säulen) entlasten und wichtiger noch heben den Brustkorb an. Die unelastischen Seile symbolisieren die inaktive Schultergürtelmuskulatur, der Druck wird direkt auf die Vorderbeine (die Säulen) weitergegeben und nicht aktiv abgefedert. Die Position des Brustkorbes ändert sich hierbei nicht.



Anzumerken an diesem Vergleich ist, dass die Situation mit den elastischen Gummibändern am ehesten der Situation von einem jungen nicht trainierten und nicht ausgebildeten Pferd nahekommt, da bei diesem die Schultergürtelmuskulatur noch nicht trainiert ist und es deswegen noch nicht in der Lage ist den Brustkorb dauerhaft in einer angehobenen Position zu halten. Je athletischer und trainierter ein Pferd wird, desto leichter wird es ihm fallen seinen Brustkorb zu tragen und (auch mit dem Reiter auf seinem Brustkorb sitzend) in einer aktiv angehobenen Position zu halten (die Gummibänder werden kürzer und erhalten mehr Spannkraft).

Bleibt die Schultergürtelmuskulatur inaktiv, bewegt sich das Pferd verglichen wie eine Schubkarre vorwärts, da der Motor des Pferdes in der Hinterhand ist. Der Schub von hinten wird in dieser inaktiven Körperhaltung nach vorne-unten weitergegeben und drückt den Brustkorb auf die Sehnen und Bänder der Vorhand (rote Pfeile oberes Bild). Trägt das Pferd seinen Brustkorb hingegen aktiv entsteht von Hinterhand zu Vorhand eine Bergauf-Tendenz (blaue Pfeile unteres Bild) und das Pferd kann den Schwung aus der Hinterhand sowie das Gewicht des Reiters durch seine aktiv federnde Schultergürtelmuskulatur stabilisieren und seine Vorhand nicht unnötig belasten.



Pferd in passiver, natürlicher Körperhaltung
Die Bergab-Tendenz von Hinterhand zur Vorhand ist deutlich zu erkennen. Wird das Pferd so geritten kommt es zur Belastung der Vorhand. 






Gleiches Pferd in aktiver Körperhaltung
Deutliche Veränderung zum linken Bild: Bergauf-Tendenz von Hinterhand zur Vorhand.  





Wichtig hierbei ist, dass die Bergauf-Tendenz zur Vorhand durch das Anheben des Brustkorbes geschieht. Dies soll weder durch eine unnatürliche Steilstellung des Beckens (mit übermäßig weitem Untertreten der Hinterbeine) noch durch ein weit nach hinten rausstehendes Becken und Hinterbeine (wie mit einem Schäferhund) geschehen.  Wird versucht eine Bergauf-Tendenz durch eine übermäßige Veränderung der Beckenstellung und der Hintergliedmaßen herzustellen werden die Sehnen, Bänder und Gelenke der Hintergliedmaße (Vor Allem Kreuzdarmbeingelenk, Sprunggelenk und Fesselgelenk) einer unnatürlich hohen Belastung ausgesetzt.

Das Ziel sollte also sein, das Pferd in einer aktiven Körperhaltung mit aktiv getragenem Brustkorb zu Reiten. Eine solche Körperhaltung ist für das Pferd durchaus sehr anstrengend  trägt aber wesentlich zur Gymnastizierung und dem Muskelaufbau der den Brustkorb und Reiter tragenden Muskulatur bei. Während eine nur nach Vorwärts- (und Hals) abwärts orientierte Körperhaltung die Vorhand des Pferdes auf Dauer überlasten kann.